Wasser im Mund

Wasser im Mund

Medizinisch betrachtet

 

Zeit lassen beim Essen

 

Warum läuft einem eigentlich schon vor dem Essen
„das Wasser im Mund zusammen“?

 Jeder kennt dieses sprichwörtliche Phänomen: In Erwartung einer leckeren Mahlzeit kommt es in der Mundhöhle zu erhöhtem Speichelfluss, obwohl das Essen als solches noch gar nicht auf dem Tisch steht. Verantwortlich dafür ist ein ausgeklügelter Automatis- mus unseres Körpers, ein hochkomplexes Zusammen- spiel unseres Gehirns mit fast allen Sinnesorganen. Die erste Alarmmeldung erfolgt bereits beim Betreten des Restaurants: Es duftet nach Leckerem! Aus der Küche kommen womöglich verheißungsvolle Geräusche: Fleisch brutzelt in der Pfanne! Am Nebentisch registrieren die Augen, was demnächst auf uns zukommt… kurzum: diverse Sinneseindrücke sorgen lange vor der Nahrungsaufnahme dafür, dass sechs große und mehrere hundert kleine Speicheldrüsen im Mundraum vermehrt ihr Sekrete absondern.

 

   Und darin liegt durchaus ein tieferer Sinn, denn uns läuft keineswegs nur „Wasser“, sondern vielmehr ein chemisch aktives Sekret, ein Gemisch aus serösem, also dünnflüssigem, und mukösem, also zäh-schleimigem Speichel im Munde zusammen. Dieser Speichelfluss ist die wirkungsvolle Einleitung der Nahrungs­aufnahme, die Flüssigkeit selbst, von der uns täglich rund 1,5 Liter, also ein Saftglas voll pro Stunde (!), zur Verfügung gestellt werden, bereits Teil des Verdauungsprozesses. Speichel dient nämlich nicht nur zur Verflüssigung des Essens während des Kauens und als Gleitmittel für den Weitertransport via Speiseröhre, sondern beinhaltet zudem wichtige Komponenten zur chemischen Aufspaltung der Nährstoffe. Das Enzym Amylase beispielsweise zerlegt die in Brot, Teigwaren, Kartoffeln oder Reis enthaltene Stärke, hinzu kommen diverse Abwehrstoffe aus dem Immunsystem, die sich als erste Vorhut einem Heer von Mikroben – Bakterien, Pilze etc. – entgegenstellen. Die erste Stufe der Verdauung findet also bereits während des Kauens im Mund statt.

   Hier fällt übrigens auch das Urteil hinsichtlich der Schmackhaftigkeit: 2000 bis 4000 Geschmacksknospen auf der Zunge registrieren Süßes, Salziges, bitteres und Saures – und dazu die gesamte Bandbreite der unterschiedlichsten Gewürze, die einem guten Essen das entscheidende Finish geben. Zum Gesamteindruck im Mund trägt die Zunge indes nur einen kleinen Teil bei, denn die Aromen selbst schmeckt der Mensch eigentlich mit der Nase. Die Geruchsstoffe der Speisen steigen in der hinteren Mundhöhle nach oben und werden über die Riechschleimhaut wahrgenommen. Das Gehirn wertet im Cortex schließlich alle ankommenden Eindrücke blitzschnell aus und verdichtet sie zu einem finalen Urteil. So kann es passieren, dass man von einem besonders köstlichen Mahl gar nicht genug bekommen kann, obwohl der Magen bereits Sättigung vermeldet – aber das ist ein anderes Thema…!

   Wie aber wird dieser Speichelfluss ausgelöst, was veranlasst die Drüsen im Mund zur Absonderung ihrer Sekrete?  Wenn wir das Geräusch des Anbratens vernehmen und womöglich gleichzeitig den Braten riechen, dann führen diese Sinneseindrücke zu Informationen im Gehirn, die wiederum als Impulse an die oralen Speicheldrüsen weitergegeben werden. Das funktioniert übrigens auch dann, wenn die Sinnesorgane Augen gar kein essbares Nahrungsmittel, sondern nur das Symbol oder die verbale Bezeichnung eines solchen registrieren. Lesen wir z. B. das Wort „Rostbraten“ in der Speisekarte, werden vom Gehirn in Sekundenbruchteilen Erfahrungswerte abgerufen, vor unserem inneren Auge erscheint die entsprechende Assoziation nebst allen mit einem Rostbraten zusammen-hängenden Wohlgefühlen – Speichelfluss setzt ein. Dieses wichtige Zusammenspiel von Sinnesorganen, dieser hochkomplexe Abgleich mit Erfahrungswerten des Gehirns, wurde erstmals wissenschaftlich nachgewiesen mit dem berühmten „Pawlow’schen Klingelversuch“: Kurz vor der Fütterung eines Hundes ertönte regelmäßig eine Glocke, dem Hund lief in freudiger Erwartung das Wasser im Maul zusammen – schließlich auch dann, wenn nur die Glocke ertönte, aber gar kein Futter folgte.

     Fazit: Fastfood kann also schon allein deshalb kein Thema sein, weil dem Körper die wichtige Vorbereitung zur Nahrungsaufnahme genommen wird, von allen anderen Argumenten einmal ganz abgesehen. Nichts verbindet die dominierenden Pole unseres Körpers besser als Essen und Trinken, zumal beim kollektiven Dinieren, ob nun in gemütlicher heimischer Atmosphäre oder in einem besonderen Ambiente, wo der Restaurantbesuch gleichzeitig zum kulturellen, sozialen und kommunikativen Ereignis wird - das hält tatsächlich Leib und Seele zusammen!